< PreviousGREEN EDITION Österreich ist ein Bio-Land, aber in puncto Nachhaltigkeit haben wir noch Luft nach oben, welche Projekte geht die Regierung dieses Jahr an? Hier muss ich Ihnen widersprechen. Öster- reich ist nicht nur Bio-Europameister - ein Viertel unserer Flächen wird biologisch be- wirtschaftet – sondern auch bei nachhaltiger Landwirtschaft liegen wir an der Weltspitze. Auch beim Thema Tierwohl sind wir übrigens Spitzenreiter. Ich bin immer wieder über- rascht, wie derartige Erfolge im eigenen Land kleingeredet und nicht anerkannt werden. Es kommen jede Woche De- legationen aus der ganzen Welt zu uns, um sich anzuschauen, wie man nachhaltige Landwirt- schaft macht. Hat sich das Verhältnis zwi- schen Landwirtschaft und LEH verbessert? Ich habe eine korrekte Ge- sprächsbasis mit dem Handel. Ich werde Probleme aber auch immer benennen, wenn es sie gibt. Die Krise hat auch die Aktionen ge- bremst, sehen Sie das positiv? Ich sehe Rabattschlachten, Dumpingpreise und Lockangebote generell kritisch. Wenn der Liter Milch im Verkauf um 39 Cent ver- kauft wird, dann ist das keine Wertschätzung für das Produkt und den Bauern, der es lie- fert. Ich glaube auch, dass ständige Aktionen weder dem Handel, noch den Kunden dienen. Stabile und faire Preise für den Konsumen- ten, aber auch für die bäuerlichen Erzeuger, darum geht es! Aber wenn die Preise im Lebensmittel- geschäft, etwa in der Frische, immer weiter steigen, wie das die Bauern fordern, wird sich das bald eine größere Familie mit kleinem Einkommen nicht mehr leisten können? Die AMA-Zahlen zeigen, dass Lebens- mittel noch nie so billig waren wie jetzt. Der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel am Haushaltsein- kommen ist in den letzten Jahr- zehnten drastisch gesunken. Außerdem ist der Preis als Motiv für die Kaufentschei- dung für die Menschen im- mer weniger wichtig. Aber machen wir uns nichts vor: Ich weiß natürlich, dass der Preis weiterhin wichtig ist. Mir geht es aber in erster Linie dar- um, dass die Konsumenten zuerst einmal die Wahl haben. Derzeit ist es für sie oft schwer oder gar nicht möglich zu erkennen, woher die Milch für die Butter kommt. Es muss auf den ersten Blick erkennbar sein, woher die Dinge kom- men. Die Menschen sind bereit, für heimi- sche Qualität auch ein paar Cent mehr zu be- zahlen. „Nicht nur bei Bio, auch bei Nachhaltigkeit und beim Tierwohl liegen wir an der Weltspitze.“ Landwirtschafts-Ministerin Elisabeth Köstinger © Paul Gruber 50 | REGAL 03-2021GREEN EDITION Also Herkunftskennzeichnung. Sie fordern dies auch für verarbeitete Produkte. Ist das in Zeiten einer Krise, wo die Gastro-Bran- che in einer extremen Situation ist, nicht der falsche Zeitpunkt für staatliche Regle- mentierungen? Die Landwirtschaft fordert diese Kennzeich- nung seit Jahren. Wir wollen eine Herkunfts- kennzeichnung bei verarbeiteten Produkten und in der Gemeinschaftsverpflegung, also Großküchen bzw. Kantinen, bei den Primär- zutaten Fleisch, Milch und Eier. Das soll noch 2021 kommen. Nicht mehr und nicht weniger wollen wir umsetzen. Für Minimalkompro- misse stehen wir nicht zur Verfügung. Ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie sind nachhaltige und regionale Produkte noch stärker in den Fokus gerückt und haben ei- nen Aufschwung erlebt. Welche Maßnah- men hat die Regierung gesetzt? Für die Unternehmen in der Lebensmittel- wirtschaft haben wir ein Netz an Unterstüt- zungsleistungen gespannt. Jedes Unterneh- men, das von der Krise schwer getroffen ist, soll Unterstützung bekommen. Ganz beson- ders hat es mich gefreut, dass die Covid-In- vestitionsprämie so gut angenommen wurde. Hat sich die Wertschätzung gegenüber Bau- ern, Landwirten, kleinen Nahversorgern und Kaufleuten im Ort durch die Krise ver- bessert? Ja auf jeden Fall, das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse. Das zeigen uns auch alle Befra- gungen und Einkaufsdaten. Noch nie waren Qualität, Herkunft und Regionalität so wich- tig für die Konsumenten. Die Einkäufe in der Direktvermarktung boomen, bei Ab-Hof-Lä- den haben wir einen Rekordwert erreicht. 23 Prozent der Konsumenten kaufen dort immer wieder ein, das gab es noch nie. Ähnliche Steigerungen haben wir bei jenen Direktver- marktern, die ihre Produkte auch online an- bieten. Um die Bergbauern muss man sich im EU Wettbewerb Sorgen machen. Wie werden die heimischen Bergbauern von der Regierung unterstützt? Bergbauern bzw. deren Leistungsabgeltun- gen sind immer wieder ein heißer Diskussi- onspunkt in Brüssel. Wir sind eines der weni- gen Länder in der EU, die so umfangreiche Förderprogramm für benachteiligte Regio- nen bieten. Mit unserem Verhandlungserfolg, an dem auch der Bundeskanzler einen riesi- gen Anteil hat, haben wir ein drohendes Mi- nus im Agrarbudget von 770 Millionen Euro sogar noch in ein Plus umwandeln können. Und welche Maßnahmen wurden in der ak- tuellen Regierungsperiode für die österrei- chischen Bauern gesetzt? Wir haben eine Vielzahl an Maßnahmen ge- setzt: Vom größten Entlastungspaket in der Sozialversicherung bzw. Steuerbereich bis © Paul Gruber Nachaltigkeitsminis- terin im REGAL-Talk 03-2021 REGAL | 51hin zum Verlustersatz für indirekt Betroffene in der Landwirtschaft. Zusätzlich haben wir auch geschafft, dass bei den Wirtschaftshil- fen, wenn es Härtefälle gibt, auch die land- wirtschaftlichen Betriebe anspruchsberech- tigt sind. Ganz wichtig war aber auch der Fa- milienbonus und der Waldfonds bzw. die Covid-Investitionsprämie, die wichtige In- vestitionen in die Zukunft anstößt. Tausende Betriebe haben diese Möglichkeit genutzt und investiert. Die AMA Genuss Regionen sind eine erfolg- reiche Initiative des Landwirtschaftsminis- teriums. Wie viele Regionen sind momentan dabei und wird weiter ausgebaut? Mir ist das ein echtes Herzensanliegen. Erst- mals haben wir ein Gütesiegel mit geprüfter Qualität und Herkunft für die Direktver- marktung, Manufakturen und die Gastrono- mie. Damit ist uns ein wich- tiger Lückenschluss zum AMA Gütesiegel gelungen. Das Besondere ist, dass das Gütesiegel nicht wie früher auf Regionen, sondern auf Betriebe und deren Produk- te abzielt. Somit können wir viel mehr Betriebe erreichen als früher. Mittlerweile sind es rund 2.000 Betriebe und es werden Tag für Tag mehr. Frau Ministerin, in wel- chen Geschäften kaufen Sie gerne Lebensmittel ein? Es geht mir weniger ums Geschäft als darum zu wissen, wo die Produkte herkommen und wie sie hergestellt wer- den. Deshalb ist die Kennzeichnung so wichtig. Und natür- lich nehme ich am liebsten die Produk- te von unserem el- terlichen Betrieb mit nach Wien, da weiß ich ganz genau, wie viel harte Arbeit da- hintersteckt. Hat sich Ihr Ein- kaufsverhalten durch Corona ver- ändert? Worauf achten Sie? Ich habe schon immer sehr stark auf Regio- nalität und Saisonalität geachtet. Wenn ich mal zum Einkaufen in dieser stressigen Zeit komme, dann mache ich das natürlich auch jetzt. Wie bewerten Sie das regionale Sortiment in den Supermärkten oder beim Diskonter? Ausbaufähig. Manche Handelsketten ma- chen das schon sehr gut aber vor allem auch sehr ehrlich mit ihren Regionalregalen, wenn ich zum Beispiel an kleinere Greißler denke. Letzten Sommer riefen Sie zu Urlaub in Österreich auf, Sie verbrachten den Sommer in Kärnten, wo zieht es Sie heuer hin? Meine ganze Aufmerksamkeit gilt jetzt ein- mal der Reduktion der Infektionszahlen. Wir alle haben diese Pandemie schon so satt und wollen zurück in eine Normalität. Dazu zählt natürlich für viele Menschen auch der Urlaub. Wir werden alles tun, um sicheren und erholsamen Ur- laub im eigenen Land zu ermöglichen. Über meinen eigenen Ur- laub mache ich mir dann Gedanken, wenn wir diesen Job gut erledigt haben. Vielen Dank für das Interview! GREEN EDITION © Michael Gruber BM Köstinger und Christa Erdely von den Lafnitztaler Bäuerinnen © Paul Gruber 52 | REGAL 03-2021Katjes_AZ_210x297_Klimaneutral_Regal_AT_PSOlwcIMP.indd 123.03.21 14:07PHOTOVOLTAIK-ANLAGE am Dach des neuen Eurospar. Ein „grüner Spar Bomber“ und Mustermarkt in Ober-Grafendorf P aukenschlag in Ober-Grafendorf bei St. Pölten. Spar Vorstand KR Hans K. Reisch schickte einen echten Nachhaltigkeits-Knüller ins Rennen. „Anstatt das bestehende Gebäude auszubau- en, entschieden wir uns für einen nachhalti- gen Neubau,“ betont Regional-Direktor Mag. Alois Huber. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Mythos, dass Supermarktparkplätzte für die Bodenversiegelung verantwortlich sind, wird eindrucksvoll widerlegt. Mit dem Upgrade von Spar auf Eurospar ist die Ver- kaufsfläche von 680m² auf 1.200m² gewach- sen, die Anzahl der Parkplätze ist von 96 auf 105 gestiegen und das ohne zusätzliche Bo- denversiegelung. Regenwasser versickert dank einer ausgeklügelten unterirdischen Si- ckerschachtanlage auf dem Eigengrund und wird vorher sogar noch gereinigt. Aber auch sonst hat der neue Eurospar in Ober-Grafen- dorf in Sachen Nachhaltigkeit einiges zu bie- ten. Nachhaltiges Vorbild. Beheizt wird das Gebäude über eine Betonkernaktivierung, die mittels einer Wärmerückgewinnung mit einer Luftwärmepumpenfunktion beheizt wird. Bei der Wärmerückgewinnung wird die von den Kühlaggregaten abgegebene Wärme zur Grüner Knüller Eurospar mit 1.200m 2 26 Prozent weniger Energie bei 70 Prozent mehr Fläche Photovoltaik Anlage am Dach mit einer Leistung von 72,5KWp Betonkernaktivierung für Heizen Sickerschachtanlage für Regenwasser TEXT: GREGOR SCHUHMAYER Einer der nachhaltigsten Supermärkte Österreichs eröffnete vor wenigen Tagen in Ober-Grafendorf bei St. Pölten 54 | REGAL 03-2021 GREEN EDITION GE_Eurospar.indd 5426.03.21 18:15WENIGER ENERGIE- VERBRAUCH bei 70 Prozent mehr Verkaufsfläche 26 % Beheizung des neuen Eurospar verwendet. Als Kältemittel der Kühlanlagen kommt aus- schließlich CO 2 zum Einsatz. Beleuchtet wird mit moderner LED- Beleuchtung. Die neue Technik und Bauweise sparen sehr viel Ener- gie – verbrauchte der alte Markt mit 680m² rund 426.000KWh/Jahr, so werden es im neuen Eurospar mit 1.200m² nur noch 358.000KWh sein. Also 26 Prozent weniger Energie bei 70 Prozent mehr Verkaufsfläche. Photovoltaik. Ein Großteil der benötigten Energie für den Verbrauchermarkt wird durch eine PV Anlage am Dach mit einer Leistung von 72,5KWp erzeugt. Lebensmittelgeschäfte brauchen während der Öffnungszeiten die meiste Energie – also auch dann, wenn die Sonne scheint. Daher ist die Photovoltaikan- lage sehr gut geeignet, den Großteil dieses Be- darfs abzudecken. Ein Großteil des Strombe- darfs kommt somit vom Dach des neuen Eu- rospar. Das senkt den CO 2 Ausstoß um mehrere Tonnen pro Jahr. Spar setzt auch ein Zeichen in Sachen Klimaschutz. Familien-Parkplätze und Wickeltisch. Bei der Planung des neuen Eurospar in Ober- Grafendorf wurde auf Feinheiten großer Wert gelegt. Eingerichtet wurden extrabreite Parkplätze für ein bequemes Ein- und Aus- steigen und breite Gänge. Für Rollstuhlfah- rer stehen spezielle Einkaufswägen zur Ver- fügung. Auch dem Familien-Einkauf steht nichts im Wege – Familienparkplätze beim Von Spar zu Eurospar - Ober-Grafendorf in Zahlen Verkaufsfläche: Von 680 auf 1.175m² Parkplätze: Von 96 auf 105 Parkplätze Zusätzlich versiegelte Oberfläche: 0 m² Sortiment: Von rund 10.000 auf mehr als 20.000 Artikel Mitarbeiter: Von 22 auf 32 Arbeitsplätze in Ober-Grafendorf Lehrlingsausbildung: 4 Lehrlinge Energieverbrauch: Von 426.000 auf voraussichtlich 358.000 KWh/Jahr Eingang, Wickeltisch und Kinder-Einkaufs- wagen sollen den neuen Eurospar familienfit machen. Rund 20.000 Artikel. Insgesamt umfasst das Sortiment mehr als 20.000 Artikel. „Nahe- liegend, dass wir gerne mit Partnern aus der unmittelbaren Region zusammenarbeiten“, so Spar-Regionalchef Huber, der Spar in Wien und Niederösterreich in den letzten Jahren groß gemacht hat. Das spürt man beim loka- len Sortiment mit Fruchtjoghurts und Bau- erntopfen der Wilhelmsburger Hoflieferan- ten, Schafmischkäse der Familie König, Dirndlprodukten von der Familie Gatterer und den Chiliprodukten von Fireland Foods. SPAR VORSTAND KR HANS K. REISCH 03-2021 REGAL | 55 GREEN EDITION GE_Eurospar.indd 5526.03.21 18:15GREEN EDITION REGAL: Wo liegen die größten Schwierigkeiten von Un- ternehmen beim Aufgreifen von Umweltthemen? DR. EVA GLAWISCHNIG: Ein häufiges Problem ist ein vo- rangegangener Glaubwürdigkeitsverlust. Wenn ein rele- vanter Schaden davongetragen wurde, ist es schwer, das Vertrauen wieder aufzubauen. Außerdem muss es um das Kerngeschäft gehen. Bienenvölker vor einem Industrie- standort leisten bestimmt einen gewissen Beitrag. Will ein Unternehmen aber „grün“ sein, muss es beim eigenen Ge- schäftsfeld ansetzen. Wo gab es grüne Fortschritte in der Industrie? In der Lebensmittelindustrie gab es schon sehr früh Be- wegung. Das Gentechnikvolksbegehren aus Österreich etwa, das war ein europaweiter Erfolg. Es war keine Selbstverständlichkeit, dass diese Art der Erzeugung kei- nen Eingang findet. Das Begehren hat Bewusstsein er- zeugt. Daraus ist viel hervorgegangen, auch die Verpa- ckungsreduktion in der Landwirtschaft. Es gibt noch im- mer genug zu tun, aber im Vergleich zu anderen Teilen der Welt ist es eine kleinstrukturierte Erfolgsstory: regionales Beschaffen, der Slow-Food Trend, verbesserte Direktver- marktung, Hofläden. Insgesamt hat sich schon allein kul- turell einiges bewegt. Dahinter steht mittlerweile auch das Engagement einer gesamten Jugendbewegung. Und welche Zahnräder sollten sich künftig noch drehen? Insbesondere die Frage der Transporte und Importe von Lebensmitteln ist wichtig. Es ist nach wie vor möglich, Lebensmittel und Tiere quer durch Europa zu schippern. Um dem entgegen zu wirken, müsste sich auch der Regionales Beschaffen, Slow-Food Trend, verbesserte Direktvermarktung, Hofläden Reduktion von Fleischkonsum und weniger Lockangebote Bio ist wertvoll, entscheidend aber auch der Transportweg INTERVIEW: LISA WEBER Regional vor Bio? Dr. Eva Glawischnig, ehemalige Grünen-Chefin, gibt REGAL einen exklusiven Einblick in die Welt der Nachhaltigkeit. 56 | REGAL 03-2021GREEN EDITION Fleischkonsum ändern. Eine Reduktion ist unumgäng- lich. In erster Linie sind Lockangebote eine Schwierigkeit, die hohen Konsum triggern. Welche Möglichkeiten gibt es in der Logistik? Logistiker sind bereits sehr effizient. Es werden, schon al- lein aus Kostengründen, weitgehende Maßnahmen getrof- fen, um Leerfahrten zu vermeiden. Ich hoffe auch, dass, durch den derzeitigen Bewusstseinsschub, Regionalität ein bleibendes Thema wird. Natürlich ist ein fair gehan- deltes Bio-Produkt sehr wertvoll. Aber besonders ent- scheidend ist der Transportweg. Gerade im europäischen Kontext kann auch die CO 2 -Bepreisung vorangetrieben werden. Lieber Bio-Tomaten aus Südafrika oder regionale To- maten aus dem Glashaus? Es kommt natürlich immer auf die Saison an. Aus meiner Sicht macht regionale Beschaffung aber mehr Sinn. „Regi- onal“ und „Saisonal“ sind wichtige Schlagworte. Dazu müssten auch niederschwellige Infor- mationen für den Konsumenten her. Wer trägt sie nun, die Verantwortung für nachhaltigeres Handeln? Wir tragen alle gemeinsam Verant- wortung. Früher hätte ich geantwor- tet: Genießen mit gutem Gewissen. Wertvolle Produkte dürfen gerne mehr kosten, dann geht man mit gutem Gewissen nach Hause. Das sehen Sie nun anders? Ja. Nicht nur, weil ich sehe, wie sich die finanzielle Situation mit Kindern verändert. Viele müssen durch Kurzarbeit oder Jobverlust sparen, Ein- kommen fällt weg und der Spielraum wird kleiner. Es ist nicht zu unterschätzen, was das mit der Nachhaltigkeits- frage macht. Die Debatte um Einwegpfand lässt die Wogen hoch- gehen, bei Handel und Industrie. Wie sehen Sie das Thema? Es gibt Studien in beide Richtungen, dafür und dagegen, und alle haben ihre Berechtigung. Ich hätte da auch zu- erst wo anders angesetzt. Die bereits hohe Sammelquote wird nicht nachhaltig höher. Es gibt Alternativen, die eine gewisse kulturelle Schönheit hätten und den Konsumen- ten zur Adaption des Verhaltens motivieren würden. Ins- gesamt sind wir gut unterwegs, aber es fehlt an greifbaren Lösungen. Wie kann man beim Thema Plastikreduktion also weite- re Fortschritte machen? Worauf ich anspiele sind die Hygienevorschriften, die aber nur auf EU-Ebene geändert werden könnten. Techni- sche Vorgaben, wie etwa an der Feinkost. Die mitgebrach- te Tasse zu befüllen, anstatt Plastikfolie zu verwenden, wurde lange verhindert, das erzeugt Müll. Würde Milch standardmäßig in Containern geliefert und von Kunden in private Flaschen gefüllt, brächte das ebenfalls logisti- sche sowie abfalltechnische Entlastung. Wie trägt Novomatic zur Nachhaltigkeit bei? Der Kernbereich ist die nachhaltige Gestaltung von ver- antwortungsvollem Spielen, also Spieler- und Jugend- schutz. 80 Prozent des Unternehmens sind dahingehend zertifiziert, was uns auf europäischer Ebene führend macht. Was Umweltschutz angeht, braucht jeder Standort Ressourcen. Wir haben einige Photovoltaik-Projekte, etwa ein Casino in Sevilla oder die Dächer der Werkshallen, die dafür genutzt werden. Auch Wasser- und Abfallreduktion werden vorangetrieben. Darf ich in unserem Gespräch noch fragen, haben Sie das Gefühl, in der Privatwirtschaft mehr im Sinne der Nachhaltigkeit bewegen zu können, als in der Politik? Es sind einfach unterschiedliche Ansätze. Wenn man im Rahmen der Gesetzgebung mitarbeitet, oder als Impulsge- ber, ist das bis zu dem Punkt, an dem eine neue Regelung geschaffen ist. Dann ist es eigentlich vor- bei. Das macht vieles abstrakt. Die Um- setzung ist eine ganz andere Arbeit. Sehen Sie damals initiierte Maßnah- men auch heute noch als sinnvoll? Vieles davon. Jede Einsparung bringt ja jedenfalls auch mittelfristig einen öko- nomischen Benefit. Aber manchmal geht es auch um den kurzfristigen Profit. Besonders jetzt, wo viele Unternehmen Coronagebeutelt sind. Themen wie das Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbes- serungsgesetz erlebe ich nun am eige- nen Leib. Jährlich sind Fortschritte zu dokumentieren, an Stellschrauben zu drehen und Kennzahlen zu liefern. Dazu müssen Änderungen im ganzen Unternehmen, auch den Töchtern, ausgerollt werden, das bringt weitreichende Kosten mit sich. Konzerne und Umweltschutz werden oftmals als Wider- spruch geahndet. Wie sehen Sie das? Das ist mittlerweile ein Vorurteil, viele Unternehmen ha- ben in Österreich sehr früh mit Umweltschutz begonnen. Es besteht immer die große Sorge des Greenwashing. Wir waren internationale Vorreiter mit einigen Technologien, auch in der Stahlindustrie. Und wie wird Greenwashing nachhaltig vermieden? Der Nachhaltigkeitsgedanke muss in der Struktur veran- kert sein. Sowohl Vorstand und Aufsichtsrat, als auch Ge- schäftsführung und vorrangig das Management müssen die Verantwortung mittragen. Je nach Größe ist auch ein Nachhaltigkeitsboard sinnvoll. Es braucht Leute, die en- gagiert sind und im Blick haben, welche Maßnahmen um- gesetzt werden und solche, die das laufend evaluieren. Auch ein stetiger Dialog mit den Stakeholdern ist wichtig, Kritikpunkte sollten aktiv besprochen werden. Vielen Dank für das Gespräch! „In erster Linie sind dabei Lock- angebote eine Schwierigkeit, die hohen Konsum triggern.“ 03-2021 REGAL | 57Adeg Vorzeigemarkt in der Steiermark: REGAL-Interview über grüne Ideen. GREEN EDITION Grüner Pionier Adeg Kaufmann Gernot Piber zieht nach strapaziösen zehn Monaten Umbauzeit Bilanz zu seinem kürzlich eröffneten Markt im Murtal. Zentral: Grünes Energie konzept, Ressourcenschonung und ELadestationen. REGAL: Herr Piber, da Ihr Markt nun fertiggestellt wurde, wie geht es Ihnen? GERNOT PIBER: Ich war am Rande meiner Grenzen. Seit Jänner sehe ich Luft und kann mich jetzt auf meinen ersten Urlaub seit langem freuen. Wo lagen die Schwierigkeiten? Zum einen beim Energiekonzept. Das war für alle Handwerker etwas abso- lut Neues. Der Plan wurde mehrmals während der Bauphase umgeschrie- ben. Das alte Gebäude und Corona brachten einige Überraschungen mit sich. Im Endeffekt haben wir fast doppelt so lange gebraucht, wie ge- plant war. Was ist bietet der neue Markt? Wir sind zu 57 Prozent autark mit un- serer Stromerzeugung. Unsere beste- hende PV-Anlage wurde durch So- lar-Carports erweitert, ein Batterie- speicher und E-Ladestationen wurden installiert. Ich kann durch ein intelligentes Lastmanagement ge- nau beobachten, wann und wo mein Strom verbraucht wird. In dieser Se- kunde sehe ich zum Beispiel, ob je- mand eine meiner Ladestationen für sein E-Auto nutzt. Der Markt ist mo- dernstens ausgestattet, ein gelunge- ner Adeg-Vorzeigemarkt. Wir arbei- ten mit Wärmerückgewinnung: Die Kühlgeräte sind kompakt in der Mitte des Geschäfts platziert, um durch kurze Leitungswege zum Technik- raum hohe Effizienz zu schaffen. Das klingt nach einer mächtigen In- vestition. 1,42 Millionen Euro. 13 Förderungen brachten finanzielle Hilfe – mein eigener Anteil war dennoch sehr hoch. Den Strom für Ihre Ladestationen bieten Sie momentan noch kosten- frei an? So ist es. Aber sehr bald wird es etwas kosten. Ich verhandle gerade mit ver- schiedenen Abrechnungsplattfor- men. Bei mir soll dann nicht nach Minute, sondern fair nach kWh abge- rechnet werden. INTERVIEW: LISA WEBER 58 | REGAL 03-2021Ist der Umbau für Sie damit abge- schlossen? Noch nicht ganz. Mein Plan ist etwa 80-prozentige Autarkie. Als nächstes möchte ich – wie bei Tesla – eine 24/7-Ladelounge anbieten, mit Kaf- feebereich, Sitzmöglichkeiten und Wifi. 2022 wird das gesamte Sattel- dach saniert und mit einer Photovol- taik-in-Dach Anlage verbaut. Weitere Supercharger sollen kommen. Das ist mitunter der schwierigste Schritt, weil ein hoher Stromanschluss nötig ist. Das ist sehr kostenintensiv. Woher kommen die Ideen? Ein großes Vorbild für mich ist der Ladepark Hilden in Deutschland. Ein Bäckermeister, der seine Chance in E-Ladestationen gesehen, hat be- treibt nun den größten Ladepark Deutschlands. Bei mir sollen Kunden ihre Ladeweile produktiv nutzen können. Wir bieten hierzu eine gute Infrastruktur: einen Supermarkt mit breitem Sortiment, einen Bäcker und Konditor, Natur, einen kleinen Frei- zeitpark, Outdoor-Sitzmöglichkeiten und leistungsstarke Hypercharger. Bis vor Ihrem Umbau waren Sie noch Spar-Kaufmann. Weshalb der Um- stieg? Meine Eltern waren bereits Adeg-Kaufleute. Mir gefällt die Kauf- mannsfreiheit und Unterstützung bei solchen Projekten. Wir waren schnell auf einem grünen Zweig, was Förde- rung und Infrastruktur betrifft. Das neue Ladenbaukonzept der Adeg ist sehr attraktiv und hat sich gut in mei- nen bestehenden Markt einfügen las- sen. Spar war nicht glücklich über meine Entscheidung, aber es war eine strategische. Wie haben die Kunden die Änderung angenommen? Ich habe 70 Prozent Stammkunden. Anfangs verlief der Umstieg auf die Jö-Karte zögerlich, mittlerweile ver- wenden aber 57 Prozent der Kunden eine. Nach vier Monaten war ich auf dem Umsatzniveau von zuvor. Ge- plante weitere 15 Prozent sind wegen des ausgefallenen Wintertourismus noch nicht möglich gewesen. Was raten Sie Kaufleuten, die grüner werden wollen? Es müssen nicht sofort so weitrei- chende Maßnahmen gesetzt werden. Im ersten Schritt kann der Stroman- bieter gecheckt werden. Es gibt genug Anbieter, die 100 Prozent Ökostrom erzeugen. Der Umstieg ist einfach. Im nächsten Schritt kann über eine PV-Anlage nachgedacht werden, das muss gar nicht in Richtung Speicher gehen: Die Stromlast durch Kühl- möbel ist ohnehin sehr hoch. Die nächste Stufe wäre für mich dann eine angepasste Ladeinfrastruktur. Wenn keine Unterstützung vom Kon- zern kommt, ist der ÖAMTC eine mögliche Anlaufstelle. Die teuerste Investition ist dann ein Batteriespei- cher für den erzeugten Strom. Der kann sich auszahlen: Damit ist das Geschäft auch notstromfähig. Ist durch Ihren Markt nun genug Er- fahrung vorhanden, um solche Kon- zepte schneller umzusetzen? Der Wunsch muss von den Kaufleu- ten selbst kommen. Aber immer wie- der bekomme ich Anfragen, sich den Markt anzusehen. Das Interesse ist groß. Natürlich hat jeder Standort (gerade, was Lastspitzen und Netzan- schluss betrifft) andere Anforderun- gen und Möglichkeiten. Mein Markt hat jedenfalls etwas ins Rollen ge- bracht. Der Gewinn des El-Motion Awards im Jänner hat noch mehr Neugierde hervorgerufen. Die Leute denken um. Ich habe zumindest einige Manager hellhörig gemacht. E-Mobilität wächst monatlich zweistellig. Auch im Ort gibt es erste Kunden, sich ein E-Auto bestellt haben. Zwei meiner Mitarbeiterinnen fahren bereits elek- trisch. Und der Kaufmann mit Ladestation wird profitieren? Wir müssen über Zusatzverdienste nachdenken. Ich habe einen 800 m²- Markt und bereits 40 Prozent Non- Food-Anteil mit 120 Lieferanten. Das ist mein Spannenbringer. Wenn Kun- den nun bei mir laden und gleichzei- tig einkaufen gehen, profitiere ich. Mein Durchschnittseinkauf pro Kun- de liegt über 30 Euro. Spiegelt sich die Nachhaltigkeit auch im Sortiment wider? Ich habe im Geschäft eine große Bau- ernecke mit etwa 25 Lieferanten aus der Umgebung. Das sind Eier, Fleisch, Wurst, Schinken, alles aus der Regi- on. Ansonsten habe ich auch einige aus der südlichen Steiermark. Die nä- heren Lieferanten machen etwa zehn Prozent aus. Was halten Sie von Digitalisierung? Unumgänglich. Ich habe 22 Ange- stellte, davon nur noch eine Ganzta- geskraft. Seit zwei Jahren sind wir komplett digital, einige Mitarbeiter haben Laptops und machen die Per- sonaleinsatzplanung zu Hause. Un- sere Buchhaltung und das Bestellwe- sen sind komplett papierlos, alle kön- nen auf die Cloud zugreifen. Anders lässt sich das nicht managen. Ich denke auch, dass Teilzeitkräfte die Zukunft sind. Mit mehr Team-Mit- gliedern sind wir besser gerüstet für etwaige Ausfälle. Das Um- und Auf ist eine gute Struktur. Der Zufall bevorzugt den vorbereite- ten Geist – es ist eine Zeit des Wan- dels und man weiß oft nicht, ob Ideen aufgehen. Solange ein zeitgemäßes System und Vorbereitung da sind, ist vieles machbar. Vielen Dank für das Gespräch! GREEN EDITION 03-2021 REGAL | 59Next >