Text: Robert Falkinger
REGAL im Gespräch Mag. Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin des Fachverbandes der Lebensmittelindustrie
Industrie: Riesige Belastungswelle im Rollen
Nährwertprofile, Werbeverbote, Mehrwegquote, nationale Herkunftskennzeichnung, steigende Rohstoffkosten. Mitten in Corona-Zeiten rollt eine riesige Belastungswelle auf die Lebensmittelindustrie zu. Mag. Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin des Fachverbandes der Lebensmittelindustrie: „Wir brauchen eine Stärkung des Standortes und keine neuen Belastungen.“ 2020 sank der Produktionsumsatz um 1,7 Prozent
REGAL: Wie hat sich die Lebensmittelindustrie im Corona-Jahr 2020 entwickelt?
Koßdorff: Die Corona-Krise ist an der österreichischen Lebensmittelindustrie nicht spurlos vorübergegangen. 2019 lag das Produktionsvolumen bei neun Milliarden Euro. 2020 schlossen wir mit einem Minus von 1,7 Prozent ab. Die Quartalsbetrachtung zeichnet eine Achterbahnfahrt nach. So gab es zu Beginn der Krise im ersten Quartal 2020 bedingt durch die Hamsterkäufe im Lockdown ein deutliches Plus. Es gab Vorziehkäufe bei länger haltbaren Lebensmitteln wie Fertiggerichten oder Konserven, aber auch bei Grundnahrungsmitteln. Im zweiten Quartal drehte der Produktionsabsatz in ein deutliches Minus. Das dritte Quartal signalisierte mit einem dünnen Plus von 0,4 Prozent eine knappe Erholung, doch im vierten Quartal gab es mit dem dritten Lockdown wieder ein deutliches Minus. Die für die Lebensmittelindustrie so bedeutsamen Absatzkanäle der Hotellerie, des Tourismus und der Gastronomie mit Event/Catering brachen komplett weg. Im LEH gab es zwar insgesamt ein Plus, dieses konnte aber die Ausfälle im Tourismus und der Außer-Haus-Verpflegung nicht kompensieren.
Der Export konnte das Minus nicht auffangen?
Zwei von drei Erzeugnissen der Lebensmittelindustrie werden bereits auf über 180 internationalen Märkten vertrieben. Die Krise hat gezeigt, wie wichtig der Export für die österreichische Lebensmittelindustrie und ihre Vorlieferanten ist. In Summe gab es hier ein Plus von 3,4 Prozent. Viele Betriebe konnten sich nur dank des Exportes über Wasser halten. Die österreichischen Gesamtexporte sanken dagegen um über sieben Prozent.
Die Industrie stand in der Corona-Krise wie ein Fels in der Brandung und hat Produktionen immer aufrechterhalten.
Ja, die Corona-Krise hat auch gezeigt, dass die Industrie mit ihren rund 200 Betrieben und 27.000 direkt Beschäftigten ein absolut verlässlicher Partner für die Landwirtschaft, den Lebensmittelhandel, die Bevölkerung und die Politik ist. Es gab immer genug Produkte. Gerade zu Beginn der Krise wurde praktisch über Nacht auf Mehrschichtbetrieb umgestellt, um die Hamsterkäufe zu bewältigen.
Waren die Verhandlungen mit dem LEH während des Corona-Jahres 2020 einfacher?
Zu Beginn zogen alle an einem Strang. Doch gerade in den letzten Monaten macht sich die starke Handelskonzentration und der damit weiterhin verstärkte Wettbewerb - die drei Großen im LEH kommen auf fast 90 Prozent Marktanteil - bemerkbar. Die Aktionen gewinnen an Dynamik und haben zugenommen. Auch die Umstellung von Merkur auf Billa Plus oder Eröffnungen neuer Filialen spüren die Lieferanten.
Da kommen Werbeverbote und die beschlossenen Nährwertprofile natürlich genau richtig …
Mitten in der schwersten Krise seit 1945 trifft uns eine Gold Plating-Keule nach der anderen. Die Versorgungsleistung unserer Branche scheint vergessen. Die Industrie muss gerade mit den Werbeverboten, den umstrittenen Nährwertprofilen, der Mehrwegquote, der nationalen Herkunftskennzeichnung sowie den steigenden Rohstoffkosten und auch den verschärften Aktionen eine gewaltige Belastungswelle bewältigen. Das muss aufhören. Was soll unserer Industrie noch zugemutet werden? Daneben haben wir auf EU-Ebene mit weiteren Herausforderungen zu kämpfen, Stichwort „Farm to Fork“-Strategie. Da brauchen wir keine nationalen „Extras“. Unsere Politik sollte sich besser für Recovery und eine Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich einsetzen.
Was kann man tun?
Hier ist die Politik gefordert. Man muss den Scheinwerfer auf die Industrie und ihre Leistungen lenken. Was sind denn diese Belastungen für ein fatales Signal an die Branche? Hier hängen Arbeitsplätze und menschliche Schicksale dran. Es geht hier in Summe um immerhin viele tausend Arbeitsplätze. Von zehn Euro Wirtschaftsleistung gehen vier Euro zurück an den Staat. Wir suchen den faktenbasierten Dialog, wir merken aber, dass hier viel Ideologie und Justament-Standpunkte vorhanden sind. Man ist weniger an Sachlösungen als vielmehr an Klientelpolitik interessiert.
Sind die Werbeverbote und Nährwertprofile real? Das Gesundheitsministerium sagt, es seien ohnehin nur Empfehlungen, keine Gesetze?
Gegenfrage: Muss man Kinder vor Käpt’n Iglo schützen? Das ganze Projekt geht an der Lebensrealität vorbei. Unsere Kritik richtet sich an die mangelnde Prozessqualität. Es fehlt nach wie vor die wissenschaftliche Evidenz. In der Nationalen Ernährungskommission sitzen Wissenschaftler, aber es gibt keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass diese Maßnahmen wirksam vor Adipositas schützen. Das lässt einen verwundert zurück. Es gibt seit zehn Jahren freiwillige Werbebeschränkungen rund um Kindersendungen, die funktionieren und nun auf Social Media erweitert werden. 2022 kommen weiters die von der EU ausgearbeiteten Nährwertprofile. Alles also viel Theaterdonner.
In der Belastungswelle sind auch Rohstoffpreissteigerungen enthalten. Wie massiv sind diese Erhöhungen?
Das ist je nach Branche und Produktsegment unterschiedlich, bewegt sich aber durchwegs im zwei bis dreistelligen Prozentbereich. Pflanzenöl ging zuletzt um mehr als 90 Prozent hinauf, Honig um über 30 Prozent. Die Kostensteigerungen gibt es bei Rohwaren, in der Logistik (Container, Paletten, usw.) und bei Verpackungen. Diese Koinzidenz verschärft die Situation noch. Das trifft die Industrie schwer und ein Ende ist nicht abzusehen. Grund ist u.a. die wieder anziehende globale Nachfrage. Hinzu kommen klimabedingte Ernteausfälle.
Die Informationsplattform „Österreich isst informiert“ wird weiter ausgebaut?
Ja und seit dem Launch vor drei Jahren haben wir ein klares Ziel: Wir wollen mit der Plattform „Österreich isst informiert“ darüber aufklären, wie Lebensmittel in unserer modernen Welt hergestellt werden und welche Vorgaben dahinterstehen. Wir möchten auch die Türen der Unternehmen öffnen, um Einblicke in die Herstellung von Lebensmitteln und Getränken zu gewähren. Besonders wichtig ist uns, jene Fragen zu beantworten, die die Verbraucherinnen und Verbraucher beschäftigen. Dabei setzen wir auf Fakten und wissensbasierte Information. Die Plattform entwickelt sich gut und wird weiter ausgebaut. Das Themenspektrum von ‚Österreich isst informiert‘ ist mit der Zeit immer breiter geworden. Aktuell sind vor allem Themen wie Nachhaltigkeit, Umwelt und Klimawandel sehr wichtig.
Der Ausblick 2021?
Hier bin ich vorsichtig optimistisch. Wir hatten heuer wiederum ein halbes Jahr Lockdown. Das erste Quartal zeigt beim Produktionsvolumen daher ein Minus von über sieben Prozent. Viel wird vom Herbst abhängen. Unser Wunsch wäre eine schwarze Null.
Danke für das Gespräch.